Katathym imaginative Psychotherapie

Aus aip-lexikon.com
Version vom 17. Juli 2024, 13:28 Uhr von de>Anlumue (1 Version importiert)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springenZur Suche springen

Keyword: Katathym imaginative Psychotherapie

Links: > Bild > Fantasie > Einstellung, symbolische > Funktion, transzendente > Imagination > Imagination, aktive > Symbol > Symbolisierung

Definition: Die Katathym (griech.: affektbedingt) imaginative (lat.: bildhaft) Psychotherapie ist eine praxisnahe und didaktisch durchstrukturierte Methode, um mit Imaginationen (> Imagination) tiefenpsychologisch arbeiten zu können. Der Begriff "katathym" ist 1912 von E. Bleulers Oberarzt H. Meyer geprägt worden und soll die enge Wechselbeziehung zwischen imaginativen Vorgängen und Emotionen ausdrücken. 1916 hat C. G. Jung erstmals den Begriff "aktive Imagination" (> Imagination, aktive) verwendet. H.C. Leuner hat aus diesem Ansatz ein eigenständiges therapeutisches Verfahren entwickelt. Er fühlt sich den Konzepten Jungs nahe, ist andererseits aber auch sehr darum bemüht, seine Methode in der > Psychoanalyse integriert zu sehen. Aus diesem Kontext heraus ist zu verstehen, dass er immer wieder einen undifferenzierten Umgang mit der Archetypenlehre kritisiert, die er allein für wenig geeignet hält, die individuelle Psychogenese von inneren Konflikten zu erhellen. Andererseits betont er stets, dass das > Durcharbeiten archaischen, seelischen Materials eine große therapeutische Bedeutung hat und dass die kollektiven, archetypischen Schichten der Seele immer in den Imaginationen durchscheinen und bearbeitet werden müssen.

Information: Die Katathym imaginative Psychotherapie ist sowohl als Einzel- als auch als > Gruppentherapie anwendbar. In der Regel findet die therapeutische Sitzung im Liegen statt. Nach einer Entspannungsvorgabe befindet sich der Patient mit geschlossenen Augen in einem hypnagogen Zwischenzustand, in dem innere Wahrnehmungen entweder spontan oder nach Motivvorgabe auftauchen. Während der Imaginationen selbst findet ein aktiver Dialog mit dem Therapeuten über das Erlebte statt. Die Wirkung der Methode eröffnet sich also direkt auf der Symbolebene, dann im Nachgespräch und über bildnerische Gestaltungen der Inhalte. Die Katathym erweitert so die aktive Imagination um die Beziehungsdimension. Während Jung die aktive Imagination vorwiegend als eine selbstständig praktizierte Form der inneren Zwiesprache mit dem Unbewussten versteht, ermöglicht die Katathym vor allem auch die therapeutische Arbeit im klinischen Rahmen, indem ich-strukturierende Prozesse im Vordergrund stehen können. Über die Zwiesprache während der Imagination ergeben sich im Katathym, im Kontext der therapeutischen Beziehungen, besondere Möglichkeiten der > Intervention und der Konfrontation mit dem > Symbol. So gelingt es, die Arbeit mit inneren Bildern einem sehr weiten Kreis von Personen, auch mit schwereren seelischen Störungen, zugänglich zu machen, die über die "klassische aktive Imagination" nicht zu erreichen sind. In der Katathym imaginative Psychotherapie werden drei unterschiedliche Dimensionen psychotherapeutischer Wirksamkeit berührt: 1. Arbeit mit inneren Konflikten (> Konflikt) und Komplexfeldern (> Komplex). In den Imaginationen können innerseelische Konflikte symbolisiert, differenziert und auch auf der Symbolebene weiterentwickelt und bearbeitet werden. 2. Archetypische Erfahrungen und ressourcenorientiertes Arbeiten. Frühe seelische Strukturen werden erfahrbar und nutzbar gemacht. 3. Entfaltung der > Kreativität und der kreativen Problemlösung. Aus Sicht der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) ist hier besonders die Förderung der transzendenten Funktion (> Funktion, transzendente) wirksam, wie sie in der Differenzierung der > Ich-Selbst-Achse und im Konzept der > Individuation reflektiert ist. Die Eröffnung der kompensatorischen (> Kompensation) und kreativen Funktion des Unbewussten (> Unbewusstes) über die Arbeit mit den Imaginationen fördert neue Ansätze für Problemlösung und Persönlichkeitsentwicklung.

Ausgehend von allgemeinmenschlich vertrauten, relativ neutralen Vorgaben lässt sich die Entfaltung der innerseelische Landschaft fördern: Wiese, Bachlauf, Berg, Haus und Waldrand wären hier als Motive zu nennen. Sie stellen insgesamt eine neutrale Projektionsfläche dar, bei der sich, um den archetypischen Kern des Motivs herum, das komplexhafte Geschehen manifestieren kann. Entweder spontan oder in geeigneten, speziellen weiteren Motivvorgaben lassen sich die Strömungen der > Libido und tiefere Beziehungsmuster nachzeichnen und erleben.

Entsprechend dem therapeutischen Prozess können sowohl Nachttraumsequenzen eingestellt werden, als auch spontane Imaginationen zu Gefühlen, Farben etc. Die Wahl der Motive ist im Zusammenhang mit der Beziehungskonstellation (Übertragung/Gegenübertragung) zu verstehen und bildet somit stets auch den therapeutischen Beziehungsprozess selbst mit ab, der so einer Bewusstwerdung zugänglich werden kann. Je nach dem Fokus der therapeutischen Arbeit - tiefenpsychologisch fundiert oder psychoanalytisch - ergibt sich das Vorgehen bei der > Integration der Imagination. Grundsätzlich ist das Vorgehen ähnlich wie bei der Arbeit mit dem Nachttraum. Viele grundlegende Konzepte der Analytischen Psychologie Jungs wie etwa die kompensatorische Wirkung der Imagination, Subjekt und Objektstufe (> Subjektstufe, Deutung auf der > Objektstufe, Deutung auf der), die grundsätzliche Bipolarität der Symbole fanden im Katathym ebenso Resonanz wie modernere psychodynamische Konzepte der > Ich-Psychologie, > Objektbeziehungstheorie, des > Narzissmus und die neueren Ergebnisse der > Säuglingsforschung.

Literatur: Leuner, H. (1985): Lehrbuch des Katathymen Bilderlebens; Leuner, H. et. al. (1986): Gruppenimagination; Salvisberg, H. et. al. (2000): Erfahrung träumend zur Sprache bringen.

Autor: R. Bolle