Patriarchat: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 20. Juli 2024, 12:02 Uhr
Keyword: Patriarchat
Links: > Anima/Animus: Klassische Auffassung > Anima/Animus: Kritik und Weiterentwicklung des Konzepts > Bewusstsein, matriarchales > Bewusstsein, patriarchales > Matriarchat > Paar > Pentaolon-System
Definition: Patriarchat (lat. pater: Vater; griech. archein: herrschen) wird heute verstanden als ein weltweites gesellschaftliches System der Geschlechterhierarchie (> Geschlecht > Gesellschaft), das in den letzten 3000-4000 Jahren Menschheitsgeschichte als Vorherrschaft des Mannes entstanden ist. Es ordnet die Kinder nicht mehr der Mutter (> Matriarchat > Mutterarchetyp > Mutter, Große) zu, sondern dem Vater (> Vaterarchetyp > Vater, Großer). Ebenso gelten Frauen als Eigentum des Mannes. Freiheit und Eigenständigkeit des weiblichen Geschlechts werden weitgehend eingeschränkt, Gleichwertigkeit nicht zugestanden. Mit der Etablierung des Patriarchats einher geht die Entwicklung eines Ideensystems (> Idee), das den Mann zur Norm erhebt, ihm allein volle Menschlichkeit und Geistigkeit (> Geist > Logos-Prinzip) zuspricht, Frauen hingegen als Abweichung von der Norm, minderwertig in ihrem Menschsein und naturhaft im Gegensatz zur männlichen Geistigkeit abwertet (> Bewusstsein, patriarchales > Männliches und Weibliches Prinzip).
Information: Die Entstehung patriarchaler Gesellschaftsordnungen wird mit verschiedenen Faktoren in Zusammenhang gebracht, u. a. der Erfindung von Waffen (> Heros-Prinzip), veränderten Anbaubedingungen für Getreide durch Entwicklung des Pfluges, die Entdeckung der Rolle des Mannes bei der Fortpflanzung. Das Patriarchat setzte sich in jahrhundertelangen gewaltsamen Änderungsprozessen, in Kriegen, Eroberungen, Bildung von Großreichen, Unterwerfung anderer Völker und Kolonialismus durch. Erinnerungsspuren (> Archetyp) dieser Kämpfe sind in den Übergangsmythen (> Mythos) bewahrt. Die frühpatriarchalen Religionen (> Religion) und Mythen ersetzen die ursprünglichen Schöpfungsgöttinnen durch eine oberste Vatergottheit, der die weiblichen Gottheiten als Gattinnen und Töchter untergeordnet wurden. Monotheistische Religionen (> Monotheismus) werden zu Staatsreligionen, die männliche Herrschaft und Weltmachtansprüche legitimieren. Titel und Besitz werden nun über die zentrale Vater-Sohn-Beziehung vererbt. Frauen wurden vom eigenen Besitz, von Rechtsansprüchen und Bildung ausgeschlossen, ebenso von den öffentlichen Bereichen der Politik, Wirtschaft, der Berufsausübung und religiöser Ämter. Sie werden eingebunden in den häuslichen Bereich, Vater und Gatte üben die Vormundschaft aus, die Kontrolle über weibliche > Sexualität und Gebärfähigkeit.
In den modernen Industriegesellschaften zeigen patriarchale Prinzipien noch immer geschlechtsspezifische Auswirkungen: Männer verfügen weltweit über 99 % aller Ressourcen (UN-Statistiken). Frauen leisten den Großteil an unbezahlter Familienarbeit (> Familie) mit der Verantwortung für die Kinder; ihre Lebenssituation ist durch Doppel- und Dreifachbelastungen gekennzeichnet. Frauen werden weltweit schlechter bezahlt, arbeiten in unterbewerteten frauenspezifischen Berufen und sind von patriarchalen Fürsorgeeinrichtungen abhängig. Die öffentlichen Bereiche der Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Forschung und Verwaltung sind weitgehend männerdominiert. In Führungspositionen sind Frauen nur zu 2-4 Prozent vertreten. Frauen und Mädchen sind von verschiedenen Formen struktureller und sexualisierter > Gewalt betroffen (z. B. häusliche Misshandlungen, sexueller Missbrauch, weltweiter Frauenhandel, Zwangsprostitution). Traumatisierungen (> Trauma/Traumatisierung) durch Gewalterfahrungen zeigen sich im Bereich der Therapie in spezifischen Störungen und psychischen Erkrankungen von Frauen.
Die Arbeiten zur Patriarchatskritik von J. Bachofen bis G. Lerner haben sich mit vielen verschiedenen Formen von Diskriminierung und Benachteiligung befasst und strukturelle, soziale, rechtliche, ökonomische und religiöse Formen aufgezeigt. Patriarchat besteht jedoch nicht nur in äußeren Strukturen, sondern ebenso in sublimen Weisen des Denkens und Fühlens (> Denken/Denkfunktion > Fühlen/Fühlfunktion) von Menschen (Bewusstseinspatriarchat). Die geschlechtsspezifische Sozialisation führt zur Übernahme von Geschlechterrollen (> Geschlechtsidentität) und Stereotypen und zu Einseitigkeiten in der Entwicklung von Männern und Frauen. Innerhalb der Analytischen Psychologie (> Analytische Psychologie) richtet sich die Patriarchatskritik u. a. gegen Thesen von E. Neumann und Jung, die > Bewusstsein und Geistigkeit als männliche Kulturleistungen beschreiben und das Mütterliche und Weibliche dichotom dem Bereich des Unbewussten (> Unbewusstes) zuordnen, ebenso auf historisch überholte Beschreibungen der Archetypen Anima/Animus sowie patriarchale Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Ein weltweiter Bewusstseinswandel (> Bewusstsein, schöpferisches) fordert heute eine umfassende kulturelle Transformation von der Geschlechterhierarchie zur gleichberechtigten Partnerschaft (> Feminismus). Die Ergebnisse der Patriarchatsanalyse führen für beide Geschlechter zu Emanzipationsanforderungen, sich aus Einengungen und falschen Identitäten (> Identität, personale) zu befreien und den Weg zu einer neuen Beziehungskultur der Geschlechter (> Beziehung > Ehe/Partnerschaft > Paar) zu suchen. Dies bedeutet im Bereich der Psychologie für Frauen und Männer unterschiedliche Lern- und Veränderungsprozesse (> Lernen > Wandlung) für Frauen z. B. die Aufarbeitung von Ohnmachtserfahrungen (> Kastration/Kastrationskomplex > Macht), weiblichen Minderwertigkeitskomplexen (> Komplex > Minderwertigkeitsgefühl) und Unterordnungsbereitschaft, für Männer die Aufgabe von falschen männlichen Größenidealen (> Größenfantasien > Hybris > Inflation) Überlegenheitsansprüchen und Machtkomplexen (> Macht). (Vgl. Richter, 1979) Hierbei kann für beide Geschlechter hilfreich sein: die Kenntnis der matriarchalen Frühgeschichte der Menschheit (> Matriarchat), ein verändertes Verständnis der Archetypen Anima/Animus, das Wissen um die universale Bedeutung von "gender", bewusste Wege weiblicher und männlicher > Individuation. (Vgl. Lerner, 1991)
Literatur: Eisler, R. (1989): Von der Herrschaft zur Partnerschaft; Lerner, G. (1991): Die Entstehung des Patriarchats; Meier-Seethaler, C. (1992): Ursprünge und Befreiungen; Richter, H. -E. (1979): Der Gotteskomplex.
Autor: B. Dorst