Liebe

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Keyword: Liebe

Links: > Anima/Animus > Beziehung > Coniunctio/Mysterium Coniunctionis > Libido > Eros-Prinzip > Hierosgamos > Leidenschaft > Sexualität > Syzygie

Definition: Liebe gehört zu den intensivsten Erfahrungen (> Emotion), die Menschen haben können, zum "Höchsten und Tiefsten der Seele". C. G. Jung bezeichnet sie als ein Thema von "ungeheurer Ausdehnung und Verwicklung" und als "eine der großen Schicksalsmächte". Sie sei nicht auf ein Lebensgebiet und Lebensalter beschränkt, sondern trete als kollektives und individuelles Phänomen "unter allen menschlichen Lebensaspekten" auf. (Vgl. Jung, GW 10, § 198) In "Erinnerungen, Träume, Gedanken" sagt Jung: "Meine ärztliche Erfahrung sowohl wie mein eigenes Leben haben mir unaufhörlich die Frage der Liebe vorgelegt, und ich vermochte es nie, eine gültige Antwort darauf zu geben.. Es geht hier um Größtes und Kleinstes, Fernstes und Nahestes, Höchstes und Tiefstes, und nie kann das eine ohne das andere gesagt werden. Keine. Sprache ist dieser Paradoxie gewachsen.. Von Teilaspekten zu sprechen, ist immer zu viel oder zu wenig, wo doch nur das Ganze sinngemäß ist." (Jung, Jaffé, 1962, S. 356)

Information: Das zentrale > Symbol der Liebe ist das Herz. (> Eros-Prinzip) In der Farbsymbolik (> Farben) ist es die Farbe Rot, die Liebe, > Leidenschaft und das Feuer der Liebe symbolisiert, ebenso die erblühende rote Rose. Ring und Kette symbolisieren den Wunsch nach Verbundenheit, Unauflöslichkeit und Dauer. Zur numinosen (> Numinosität) Schicksalsmacht der Liebe gehört ihre Nichtverfügbarkeit. Liebe ereignet sich, ist mit menschlichem Willen nicht machbar und verfügbar. Liebe hat zu tun mit Begehren, Leidenschaft, Zärtlichkeit, Sehnsucht, Schmerz und > Glück, mit Sexualität und Daseinsfreude (> Freude), mit Bestätigung und Sich-selbst-Finden am Du, mit Erfahrungen von > Ganzheit, Eins-Werdung, Entgrenzung (> Bewusstseinszustände, veränderte) und Transzendenz (> Mystik > Mystos-Prinzip > Religion). Zu den Schattenseiten der Liebe, die in den Alltagserfahrungen ebenso wie in den Liebesdramen der Weltliteratur (> Dichtung > Literatur) sichtbar werden, gehören: Besitzanspruch, > Eifersucht, Betrug und Rache, das Umschlagen von Liebe in > Hass oder Gleichgültigkeit, > Macht und Unterwerfung, Abhängigkeit, blinde Leidenschaft und Triebhaftigkeit, der Missbrauch von Liebe.

Im matriarchalen (> Matriarchat) Ritus der heiligen Hochzeit (Coniunctio > Ehe/Partnerschaft > Hierosgamos) wird die Liebe als Vereinigung und lebensspendende Kraft in der Verbindung von Männlichem und Weiblichem (> Männliches und Weibliches Prinzip), Göttlichem und Menschlichem viele Jahrtausende in der Frühgeschichte der Menschheit gefeiert. Die Griechen veranschaulichen Liebe in großen Göttern und Göttinnen: Aphrodite als Göttin der Liebe und Schönheit, Eros, der mit seinen Pfeilen Verwundung und Getroffen-Sein durch die Liebe darstellt, Dionysos, der die ekstatischen und rauschhaften Aspekte der Liebe verkörpert. Eros vor allem gilt als großer Daimon. Er bewirkt das Streben der Menschen nach dem Guten, Schönen und Wahren.

Das Menschheitsrätsel Liebe spielt immer wieder um das > Paar, welches das Schicksal zueinander treibt. der > Archetyp des Paares liegt zahlreichen Mythen (> Mythos), Erzählungen und Kunstwerken (> Kunst) zugrunde, die als Selbst- und Weltdeutungen der Menschheit zu verstehen sind. Tristan und Isolde, Lancelot und Guinevra, die berühmtesten Liebespaare mittelalterlicher Erzählungen, zeigen etwas auf von der Unbedingtheit, der Verrücktheit und heiligen Verzauberung der Liebe, ebenso die orientalischen Erzählungen von Leila und Maschnun.

Für heutige Menschen gilt vor allem das "ganz normale Chaos der Liebe" (vgl. Beck, 1980) mit einer unüberschaubaren Vielfalt an Liebes- und Beziehungsvarianten. Der Individualisierungstrend sowie die Emanzipation der Frauen (> Feminismus) haben die traditionellen Beziehungs- und Liebesmuster der Geschlechter radikal auf den Prüfstand gebracht. Im Zeitalter der Postmoderne sind Liebe, Ehe- und Familienmodelle (> Ehe/Partnerschaft > Familie) grundlegenden Wandlungen unterworfen. Heutige Liebespaare erleben und erleiden Veränderungen in Werten (> Bewusstsein, kollektives > Kollektiv), Sozialstrukturen (> Gesellschaft) und Geschlechterrollen (> Geschlecht und Psyche > Geschlechtsidentität), ebenso aber auch die archetypische Kraft der Liebe zum Abenteuer der > [[Individuation (> Individuationsprozess) gehört das Sich-Einlassen auf liebevolle Beziehungen, auf menschliche Nähe und Verbundenheit, um lebenslang die Kunst des Liebens (vgl. Fromm, 1980) in einer zeitgemäßen Beziehungskultur der Partnerschaft zu üben. Anima und Animus (> Anima/Animus) sind Archetypen der > Beziehung, die im Prozess der Individuation erlebt und gelebt werden wollen. Werden in den Liebesbegegnungen zunächst Anima- und Animusbilder auf den geliebten Menschen projiziert, so bestehen die Entwicklungs- und Reifungsaufgaben im weiteren darin, Projektionen zurückzunehmen und die Differenz zwischen den eigenen Wunschvorstellungen von Traumfrau und Traummann und dem realen Anderen anzuerkennen und auszuhalten. In der illusionären romantischen Liebe ist der verliebte Mensch von seinen eigenen Projektionen (> Projektion) verzaubert, ohne die > Persönlichkeit des Geliebten zu erkennen. In diesem Sinne gilt der Satz von der Blindheit der Liebe. Anima und Animus können jedoch auch Vermittlungsfunktionen übernehmen und dabei helfen, mit den Augen des Herzens zu sehen, die Eigenart und das Wesen des geliebten Menschen zu erkennen und eine Seelenverbindung vom Selbst zum anderen Selbst zu erfahren. So gilt, dass Liebe sehend macht. Aber, so Jung: "Die Liebe enthüllt ihre höchsten Geheimnisse und Wunder nur dem, der der unbedingten Hingebung und Treue des Gefühls fähig ist." (Jung, GW 10, § 232) Liebesfähigkeit in der Ich-Du-Beziehung setzt gesunde Selbstliebe (> Narzissmus > Selbstkonzept > Selbstrepräsentanz) voraus. Selbstliebe und Selbstakzeptanz sind wichtige Themen in der therapeutischen Arbeit mit Frauen, die zur Selbstzurücksetzung und Selbstlosigkeit erzogen wurden. Für Männer geht es in der Entwicklung ihrer Liebesfähigkeit häufig um die Problematik der Aufspaltung von Sexualität (> Libido) und Liebe sowie um falsche Vorstellungen von Liebe als Anspruch und Leistung. Im Gelingen und Scheitern aller Liebesbemühungen entwickeln Menschen sich weiter, und die Dialektik (> Synthese) von Gleichheit und Anderssein, Nähe und Distanz, Begehren und Abweisung fordert immer wieder reifere Formen des Liebens und der Beziehung unter Alltagsbedingungen heraus. Alle Erfahrungen der Liebe haben eine durchlässige Grenze zur Transzendenz. Sie öffnen die Welt auf eine tiefere Seinsebene hin, erweitern die Grenzen der Wahrnehmung und des Erlebens und lassen die Verbundenheit der menschlichen Existenz mit allen Lebewesen erkennen. So werden die spirituellen Dimensionen (> Spiritualität) Mitgefühl, Anteilnahme, (> Empathie) schöpferisches Leben (> Kreativität > Schöpferisches), Bezogenheit in einem umfassenden Sinne durch die Liebe geweckt und gefördert. Die höchste Schwingungsfrequenz der Liebe ist die mystische Liebeserfahrung, die > unio mystica, in der das Selbst seinen göttlichen Ursprung (> Gottesbild > Religion) erfährt und sein Ziel erreicht.

Literatur: Beck, U. (1980): Das ganz normale Chaos der Liebe; Dorst, B. (2001): Transzendenz der Liebeserfahrung; Fromm, E. (1980): Die Kunst des Liebens; Kast, V. (1984): Paare; Müller, L. (2001): Lebe dein Bestes.

Autor: B. Dorst