Beziehung, therapeutische

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Keyword: Beziehung, therapeutische

Links: > Analyse > Beziehung > Beziehungsquaternio > Eros-Prinzip in der Psychotherapie > Heilen/Heilung > Heiler, verwundeter > Induktion > Resonanz > Übertragung/Gegenübertragung > Übertragungsformen

Definition: Im therapeutischen Prozess hat die Beziehung zwischen Patient und Therapeut eine zentrale Bedeutung. Der Fokus ist jedoch in den verschiedenen therapeutischen Schulen sehr unterschiedlich. In den tiefenpsychologischen und analytischen Richtungen wird sie zum Kernelement des therapeutischen Weges. “Das lebendige Geheimnis des Lebens ist immer zwischen zweien verborgen, und es ist das wahre Mysterium, das Worte nicht verraten und Argumente nicht erschöpfen können.“ (Jung, 1973, Briefe 3, S. 328). Therapeutische Kommunikation im allgemeineren analytischen > Setting ist durch eine sich im Hier und Jetzt entfaltende Beziehungs- und Affektdynamik bestimmt, die sich vor allem in > Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen (> Übertragung/Gegenübertragung) abbildet. C. G. Jung hat die komplexen bewusst-unbewussten Interaktion zwischen Patient und Therapeut in seinem Modell des > Beziehungsquaternio dargestellt. Neben dem bewussten Dialog erhält hierbei die Ebene des unbewussten Dialogs entscheidende Bedeutung. > Verstehen bedeutet vor allem Verstehen der unbewussten Dimensionen, der Sinnstrukturen, der szenischen Elemente, der Symbole (> Symbol) > Bilder (> Bild) und Fantasien (> Fantasie). Damit handelt es sich um ein tiefenhermeneutisches (> Hermeneutik) > Verstehen, um Erschließung von Sinn. Zwar ist die > Deutung als Form der Interpretation des unbewussten Materials das dem hermeneutischen Weg adäquate Mittel, um dem Patienten die vermutete Konfliktdynamik nahe zu bringen, aber unter Deutung ist keine intellektuelle Analyse zu verstehen, sondern eine sparsam angewendete, an den affektiven Gehalt der Konflikte sowie deren Abwehr anschließende Hypothesenäußerung, die sowohl vom Zeitpunkt als auch von der Wortwahl her so stimmen muss, dass sie im Patient eine förderliche emotionale > Resonanz findet. Der analytische Prozess unterliegt damit vor allem der > Selbstregulation des Patienten bzw. der gemeinsamen Selbstregulation und nicht der absichtlichen Einwirkung seitens des Therapeuten. Diesem Prinzip folgen sowohl die freie Assoziation (> Assoziation, freie) als auch die > Amplifikation. Der Analytiker sollte sich im Prozess so verhalten, dass er sich bei gleich schwebender Aufmerksamkeit (> Aufmerksamkeit, gleichschwebende) „seiner eigenen unbewussten Geistestätigkeit überlasse, Nachdenken und Bildung bewusster Erwartungen möglichst vermeide, nichts von dem Gehörten sich besonders im Gedächtnis fixieren wolle, und solcher Art das Unbewusste des Patienten mit seinem eigenen Unbewussten auffange.“ (S. Freud, GW 13. S. 215)

Information: C. G. Jung stellt sich Beziehung und Kommunikation im Rahmen des analytischen Prozesses als „esse in anima“ vor, als Einlassen auf ein im Prozess entstehendes Drittes, das dann vermittelt zwischen „esse in intellectu“ und „esse in re“ (Jung, GW 6, § 73). Damit bekommt die zwischen zwei Menschen in Übertragung und Gegenübertragung entstehende > Fantasie für den Austausch entscheidende Bedeutung und wird zum eigentlichen Vermittler auf unbewusster Ebene (> mundus imaginalis). Alles, was in einer Sitzung geschieht, ist in auch immer symbolische Kommunikation, oft in einer nur geahnten und schwer zu verbalisierenden Weise. So ist z. B. das in der therapeutischen Beziehung häufig auftauchende Inzestmotiv (> Inzest) nicht konkret zu verstehen, sondern ein symbolischer Ausdruck für die subtilen bewusst-unbewussten, wechselseitigen Vereinigungs- und Verbindungsvorgänge, die zu einer schöpferischen Beziehung des Ich-Bewusstseins mit dem Unbewussten führen, wodurch das Neue, das Dritte, das Kind, die > Wandlung möglich werden (> Funktion, transzendente > Kreativität > Schöpferisches). Über die tragfähige und vertrauensvolle Beziehung zum Therapeuten kann der Patient lernen, sich seiner Selbstregulation und seinem > Selbst anzuvertrauen.

C. G. Jung betont, dass der therapeutische Beziehungsprozess immer einen Wandlungsprozess (> Wandlung) für beide bedeute und dass sich beide einer Dynamik aussetzen, die zwar erkennbar und bewusstseinsfähig sei, aber doch auch unbewusst und autonom geschehen kann. “Denn, wie man es auch drehen und wenden mag, die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist eine persönliche Beziehung innerhalb des unpersönlichen Rahmens der ärztlichen Behandlung. Es ist mit keinem Kunstgriff zu vermeiden, dass die Behandlung das Produkt einer gegenseitigen Beeinflussung ist, an welcher das ganze Wesen des Patienten sowohl wie das des Arztes teilhat [...] Das Zusammentreffen von zwei Persönlichkeiten ist wie die Mischung zweier verschiedener chemischer Körper: tritt eine Verbindung überhaupt ein, so sind beide gewandelt [...] „ (Jung, GW 16, § 163f) Dies bedeute, dass der Therapeut in einem gewissen Sinne ebenso in der Analyse sei und deren verwandelnden Einflüssen ebenso ausgesetzt sei, wie der Patient. In dem Maße, in dem sich der Therapeut dieses wechselseitigen Einflusses gegenüber unzugänglich erweise, sei er auch des Einflusses auf den Patienten beraubt.

Im Bild veranschaulicht stellt sich therapeutische Beziehung so dar, dass sich Analytiker und Patient gemeinsam entschließen, sich für eine gewisse Zeit in ein geschlossenes Gefäß (> Vas hermetis/Vas hermeticum) zu begeben, in dem unter Schutz des therapeutischen Rahmens (> Arbeitsbündnis > Set, > Setting) und des therapeutischen Rituals (> Ritual/Ritus, > Ritualisierung) Begegnungen mit archetypischen Inhalten und dadurch ausgelöste Veränderungsprozesse geschehen und beide ergreifen können. Dies heißt natürlich nicht, dass der Analytiker zum Patienten werden soll. Er braucht die Fähigkeit des Eintauchens und wieder Auftauchens, der > Regression und > Progression, der > Empathie und Distanz. Ein solches therapeutisches Beziehungskonzept fordert ein hohes Maß an Offenheit und Bereitschaft, sich auch auf schwierige regressive Prozesse und Beziehungsinteraktionen einzulassen. Gleichzeitig ist dazu natürlich auch Zurückhaltung (> Abstinenz) notwendig, damit der Raum der Fantasie nicht durch > Agieren ersetzt wird und der Patient sich auf sein eigentliches Sein und Selbst hin orientieren kann und hierin nicht von den Bedürfnissen des Therapeuten abgelenkt wird.

Literatur: Dieckmann, H. (Hrsg.) (1980): Übertragung und Gegenübertragung in der Analytischen Psychologie; Heisig, D. (1999): Wandlungsprozesse durch die therapeutische Beziehung; Jacoby, M. (1993): Übertragung und Beziehung in der Jungschen Praxis; Maeder, A. (1957): Der Psychotherapeut als Partner.

Autor: D. Knoll